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Sonde rdruc k Forschungen zu Spätantike und Mittelalter herausgegeben von Orsolya Heinrich-Tamáska, Niklot Krohn und Sebastian Ristow Band 1 Forschungen zu Spätantike und Mittelalter 1 herausgegeben von Orsolya Heinrich-Tamáska, Niklot Krohn und Sebastian Ristow Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 6 herausgegeben von Hermann Wiegand und Alfried Wieczorek Grosso Modo Quellen und Funde aus Spätantike und Mittelalter Festschrift für Gerhard Fingerlin zum 75. Geburtstag herausgegeben von Niklot Krohn und Ursula Koch 2012 Verlag Bernhard Albert Greiner Grosso Modo – Quellen und Funde aus Spätantike und Mittelalter/ Festschrift für Gerhard Fingerlin zum 75. Geburtstag / herausgegeben von Niklot Krohn und Ursula Koch / Forschungen zu Spätantike und Mittelalter 1 / herausgegeben von Orsolya Heinrich-Tamáska, Niklot Krohn und Sebastian Ristow zugl. Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 6 / herausgegegeben von Hermann Wiegand und Alfried Wieczorek Weinstadt : Greiner 2012 / ISBN 978-3-86705-069-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagbild Christina von Elm (Tübingen) Der „Trossinger“ beim Leierspiel. ISBN 978-3-86705-069-2 ISSN 2195-2221 1. Auflage 2012 © 2012 by Verlag Bernhard Albert Greiner, 71384 Weinstadt www.bag-verlag.de Redaktion Ursula Koch (Mannheim), Niklot Krohn (Freiburg), Sebastian Ristow (Köln) Reihenlayout und Claudia Greiner (Weinstadt) Umschlaggestaltung Satz ArchaeoPlanRistow (Martina Hundt, Köln) Druckdatenerstellung Sebastian Ristow (Köln) Druckdatenkontrolle Gunter Dünnbier (Großschönau) Herstellung Verlag Bernhard Albert Greiner, 71384 Weinstadt www.bag-verlag.de Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Tabula Gratulatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Christina von Elm „Der Trossinger beim Leierspiel“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Mathilde Grünewald Die vermeintliche Völkerlawine der Neujahrsnacht 406/407 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Horst Wolfgang Böhme Der „Altkönig“ im Taunus als Höhenstation des 4./5. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Uwe Gross Zum Fundmaterial der spätrömischen Befestigung Sponeck – einige Ergänzungen und Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Volker Bierbrauer Christliche Jenseitsvorstellungen und romanische Beigabensitten vom 5. bis zum 6./7. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Ursula Koch Schwetzingen im Lobdengau – die ersten fränkischen Siedler am unteren Neckar . . . . . . . . . . . . . . 51 Helga Schach-Dörges Handschuhe in alamannischen Gräbern von Oberlacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Max Martin Tasche oder Täschchen? Zu einem Accessoire der merowingischen Frauentracht . . . . . . . . . . . . . . 73 Frauke Stein Mediterrane Pferdegeschirrbeschläge aus Gammertingen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Tobias Brendle „Ich, ein Werk aus Eisen, glänze wie Silber“. Zu den silber- und messingtauschierten eisernen Pyramidenbuckeln vom Schwertgurt der jüngeren Merowingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Niklot Krohn und Josef F. Fischer Langobardische Trienten der späten Merowingerzeit im alamannisch-bajuwarischen Raum: Obolus, Schmuck – und kurantes Zahlungsmittel?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Heiko Steuer Ein Krieger der Merowingerzeit auf seinem Weg durch die wissenschatliche Literatur. . . . . . . . . . . 127 Annette Frey und Jörg Drauschke Die Sammlungsstrategie Ludwig Lindenschmits d. Ä. am Beispiel badischer Funde . . . . . . . . . . . . . 139 Martin und Iris Trautmann Mühen und Plagen? Spuren körperlicher Aktivität an alamannischen Skeletten. . . . . . . . . . . . . . . . 155 Christian Meyer und Kurt W. Alt Die Steinkistengräber vom Hermsheimer Bösfeld, Mannheim-Seckenheim: Bioarchäologische Charakterisierung der menschlichen Skelettfunde eines frühmittelalterlichen Gräberfeldes . . . . . . . 165 Robert Koch Ein Bronzeschlüssel aus Münsterschwarzach und weitere karolingerzeitliche Schlüssel östlich des Rheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Mechthild Schulze-Dörrlamm Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit – ein Amulettschlüssel aus Mainz und ein „Petrusschlüssel“ aus Alzey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Alfons Zettler Liber Viventium Fabariensis – Versuch einer Freilegung der ältesten Namenschicht im Pfäferser Gedenkbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Dieter Geuenich Curtis in Muron cum ecclesia. Zur Lage und Bedeutung der Kirche zu Maurach (Denzlingen) im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Peter Schmidt-Thomé Fund einer mittelalterlichen Glocke auf dem „Bürgli Schloß“, Gde. Gailingen (Kr. Konstanz) . . . . . . 225 Dorothee Ade Ein Klappspiegel von der Achalm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Stefan Eismann Ora et labora. Zeugnisse eines Handwerksareals im Stitsbezirk von Vreden, Kr. Coesfeld . . . . . . . . 237 Tabula Gratulatoria Außer den Autorinnen und Autoren gratulieren: Prof. Dr. Hermann und Ursula Ament, Mainz Dr. Rolf-Heiner Behrends, Karlsruhe Prof. Dr. Sebastian Brather, Freiburg Dr. Susanne Brather-Walter, Freiburg Prof. Dr. Hans-Torsten Capelle, Münster Dr. Folke Damminger, Karlsruhe Dr. Hermann Dannheimer, Starnberg Inge Diethelm, Basel Prof. Dr. Klaus Düwel, Göttingen Christina von Elm M. A., Tübingen Prof. Dr. Helmut Engler, Freiburg Dr. Christoph Eger, Berlin Michael Egger M. A., München Dr. Hubert Fehr, Freiburg Prof. Dr. Franz Fischer, Bonn Dr. Uta von Freeden, Frankfurt a. M. Dr. Brigitte Haas-Gebhard, München Dr. Bernhard A. und Dr. Claudia Greiner, Remshalden Lic. Phil. René Hänggi, Brugg Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken Dr. Jörg und Dr. Karin Heiligmann, Konstanz Prof. Dr. Alexander Heisig, Freiburg Dr. Peter und Dr. Ursula Huggle, Freiburg Dr. Ulrich Klein, Stuttgart Dr. Georg Kokkotidis, Stuttgart Raimar Kory M. A., Freiburg Dr. Bianca Lang, Mannheim Ulrich Lehmann M. A., Münster Dr. Renate Liessem-Breinlinger, Freiburg Dr. Reto Marti und Elisabeth Marti-Gradel, Liestal Dr. Almuth Morgenstern, Sasbach-Jechtingen Prof. Dr. Hugo Ott, Merzhausen Gerd Gotthard u. Dr. Helena Pastor-Borgoñón, Freiburg Dr. Bernd Päfgen, München Prof. Dr. Max Pister, Saarbrücken Dr. Britta Rabold, Karlsruhe Prof. Dr. Hartmann Reim, Rottenburg Dr. Arno Rettner, München Dr. Arthur Erhard Richter, Grenzach-Wyhlen Dr. Ellen Riemer, Mainz Dr. Kathrin Roth-Rubi, Bern Dr. Philipp von Rummel, Rom Dr. Michael Schmaedecke, Liestal Prof. Dr. Barbara Scholkmann, Tübingen Uta Schäfer M.A. und Dr. Wolfgang Schwarz, Halle Prof. Dr. Peter Andrew Schwarz, Basel Prof. Dr. Hans Rudolf Sennhauser, Bad Zurzach Dr. Bernhard Sicherl, Dortmund Prof. Dr. Wolf-Dieter Sick, Denzlingen Prof. Dr. Frank Siegmund, Basel Dr. Sebastian Sommer und M. L. Wong-Sommer, München Dr. Ingo Stork, Bietigheim Prof. Dr. Mag. Karl Strobel, Klagenfurt Dr. Jürgen Trumm, Brugg Dr. Hans Peter Uenze, Vaterstetten Prof. Dr. Günther Ulbert, Berg Dr. Heiko Wagner, Kirchzarten Prof. Dr Egon Wamers, Frankfurt am Main Prof. Dr. Matthias Werner, Jena Prof. Dr. Alfried Wieczorek, Mannheim Prof. Dr. Rainer Wiegels, Osnabrück Prof. Dr. Ottilie Wilmanns, Hinterzarten Dr. Rotraut Wolf, Stuttgart Dr. Gudula Zeller, Mainz Prof. Dr. homas Zotz, Freiburg Badenweiler, Bürgermeister Karl Eugen Engler Bräunlingen, Bürgermeister Jürgen Guse Deißlingen, Bürgermeister Ralf Ulbrich Dürbheim, Bürgermeister Alfred Pradel Grenzach-Wyhlen, Bürgermeister Jörg Lutz Heitersheim, Bürgermeister Martin Löler Hüingen, Bürgermeister Anton Knapp Küssaberg, Bürgermeister Alexander Fink Lahr, Oberbürgermeister Dr. Wolfgang G. Müller Mühlheim an der Donau, Bürgermeister Jörg Kaltenbach Riegel am Kaiserstuhl, Bürgermeister Markus Jablonski Sulz am Neckar, Bürgermeister Gerd Hieber Wurmlingen, Bürgermeister Klaus Schellenberg Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt Breisgau-Geschichtsverein Schau-ins-Land e. V. Förderverein Stadtmuseum Breisach, Helmut Kiefer Geschichtsverein Breisach am Rhein e. V., Uwe Fahrer Historischer Verein für Mittelbaden e. V., Ofenburg Kantonsarchäologie Basel-Land, Liestal Kantonsarchäologie Schahausen Mannheimer Altertumsverein von 1859, Prof. Dr. Hermann Wiegand Regierungspräsidium Freiburg, Referat 26, Dr. Andrea Bräuning Stitung für Forschung in Spätantike und Mittelalter – HR. Sennhauser, Bad Zurzach Stitung Humanismus heute, Freiburg VII Vorwort der Herausgeber Wer Gerhard Fingerlin zu dessen 75. Geburtstag einen Beitrag widmet, so waren sich Herausgeber und Herausgeberin einig, sucht sich ein hema, das zwischen Römerzeit und Frühmittelalter angesiedelt ist; in Epochen also, denen das reiche Oeuvre des Jubilars hauptsächlich galt und an deren Erforschung er bis heute regen Anteil hat. So trägt nun auch der durch die Aufsätze generierte zeitliche Focus auf hemen aus den Jahrhunderten der Spätantike und des frühen und hohen Mittelalters den hauptsächlichen Interessengebieten des Jubilars Rechnung, und passt damit in idealer Weise in das Konzept der neuen Reihe „Forschungen zu Spätantike und Mittelalter“, als deren Eröfnungsband die Festschrit für Gerhard Fingerlin fungiert. Südbaden ist die Heimat Gerhard Fingerlins und zugleich dessen Zuständigkeitsbereich während seiner berulichen Tätigkeit als Leiter der Außenstelle Freiburg des damaligen Landesdenkmalamtes BadenWürttemberg. Doch dass sich die Festschritbeiträge nur mir archäologischen Objekten beschätigen, die aus Südbaden stammen, war kaum zu erwarten. Die Bandbreite der hier versammelten Beiträge reicht dann auch geographisch mitunter weit über Fingerlins engeres Arbeitsgebiet hinaus und vereint zudem die Erschließung von historischen Quellen und archäologischen Funden mit Ergebnissen aus dem naturwissenschatlichen Nachbarfach der biologischen Anthropologie. Entstanden ist dadurch ein Buch, dessen Inhalt vortrelich auf die von Gerhard Fingerlin eine Zeit lang in Gesprächen sehr gerne benutzte Redewendung „Grosso modo“ zutrit, welche zugleich für die vom Jubilar stets konsequent vertretene Devise steht, das etwas nur verständlich wird, wenn alle Aspekte in Betracht gezogen werden. Ein Spiegel für den Wirkungsgrad der wissenschatlichen Impulse, die von Gerhard Fingerlins Forschungen ausgehen und zugleich ein Gradmesser für die außerordentliche Sympathie, derer sich der Jubilar im Freundes- und Bekanntenkreis sowohl aus dem engeren, fachlichen, als auch dem weiteren, nachbarwissenschatlichen Umfeld erfreuen kann, ist der Reigen der Autorinnen und Autoren des Buches. In der Festschrit zu Gerhard Fingerlins 65. Geburtstag waren ausschließlich junge Wissenschatlerinnen und Wissenschatler zu Wort gekommen, welche bei der Auswahl und Bearbeitung ihrer universitären Abschlussarbeiten in vielfältiger Weise durch den Jubilar unterstützt worden waren. Nun sind es Menschen aus ganz unterschiedlichen Forschergenerationen, die mit ihren hemen und Vorhaben irgendwann einmal die Wege Fingerlins kreuzten und ihm dann freundschatlich verbunden blieben oder ihm von da an große Anerkennung zollen. Durch ihre Herkunt aus mitunter gegensätzlichen akademischen Schulen stehen sie für einen symbolischen Brückenschlag über manch paradigmatischen Graben hinweg. Da ist zunächst der Kreis der alten Studienkolleginnen und Kollegen des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der Universität München, mit denen Fingerlin als Schüler von Joachim Werner während des weiteren Studiums seinerzeit das Doktoranden-Zimmer in der Meiserstraße teilte, als noch die gesamte Literatur zur Merowingerzeit in einem Bücherschrank Platz fand, wo auf Transparentpapier gezeichnet, Lichtpausen ausgetauscht, im Team gearbeitet und gegenseitig Korrektur gelesen wurde (Frauke Stein, Ursula und Robert Koch), oder denen Fingerlin nach Beendigung seines Studiums auf der großen Grabung in Invillino im Friaul begegnete (Volker Bierbrauer und Horst Wolfgang Böhme). Es folgt der Kreis derer, die Fingerlin als kompetenten und diskussionsfreudigen Kollegen der Archäologischen Denkmalplege kennenlernten, der bei allen Überlegungen stets vom archäologischen Objekt ausgeht und so manches Interesse an einem solchen erweckte (Helga Schach-Dörges, Uwe Gross, Peter Schmidt-homé sowie „Grenznachbar“ Max Martin), auch über die Landesgrenzen hinweg (Mechthild Schulze-Dörrlamm) und Archäologie immer als Teil der südbadischen Landesgeschichte verstand (Alfons Zettler). Bei allen Auslügen ins Mittelalter unterstützte ihn seine Frau die Kunsthistorikerin und Mittelalterarchäologin Ilse Fingerlin bis zu ihrer schweren Erkrankung, so dass ein Beitrag eigentlich ihr gilt (Dorothee Ade). Als Ausgräber wurde Fingerlin durch viele große Grabungen, nicht nur Dangstetten, über Südbaden hinaus bekannt und geschätzt (Mathilde Grünewald). Weitere Freunde gewann Fingerlin, der auch unter eigenem Verzicht äußerst attraktive Forschungsobjekte wie den Zähringer Burgberg abgeben konnte, im Umfeld des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Albert-Ludwig Universität und dem Forschungsverbund zum Ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland (Dieter Geuenich und Heiko Steuer). Mit letzterem verbindet Fingerlin nicht nur dessen Engagement zur Ernennung des Jubilars als Honorarprofessor des Freiburger Instituts, sondern er führt mit ihm die Schritleitung der „Archäologischen Nachrichten aus Baden“ des Förderkreises Archäologie in Baden e. V., den Fingerlin seinerzeit selbst ins Leben gerufen hat. Damit sind beide, die krat ihrer wissenschatli- IX chen Herkunt kaum unterschiedlicher sein könnten, ein unschlagbares aktives Team geworden, das über die gemeinsame, ansteckende Begeisterung an der Archäologie „zueinander gefunden“ hat. Groß ist der Kreis der „Schüler“, die dank ihm mit Material des Landesdenkmalamtes weiterarbeiteten und teilweise schon an der „65er-Festschrit“ beteiligt waren (Tobias Brendle, Jörg Drauschke, Stefan Eismann, Josef Fischer, Annette Frey, Niklot Krohn). Durch fachliches Interesse und persönliche Anteilnahme spielte Fingerlin auch als „Weichensteller“ eine Rolle (Kurt Alt und über diesen dann Martin und Iris Trautmann sowie Christian Meyer). Die Herausgeber danken allen, die zum Gelingen des vorliegenden Bandes beigetragen haben: An erster Stelle gilt der Dank den Autorinnen und Autoren der hier versammelten Beiträge für die vorbildliche Kooperation während der redaktionellen Bearbeitung ihrer Manuskripte. Dem Büro ArchaeoPlanRistow in Köln (Sebastian Ristow und dessen Mitarbeiterin Martina Hundt) sowie dem Verlag Bernhard Albert Greiner danken wir, dass sie trotz knapper Termine die Arbeit bewältigten. Und nicht zuletzt sei den vielen Gratulantinnen und Gratulanten gedankt, die durch ihren Eintrag einen inanziellen Beitrag zu den Produktionskosten geleistet haben. Ihre Herkunt aus vielen Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigen die Popularität, die der Bundesverdienstkreuzträger Gerhard Fingerlin auch in der breiten Öfentlichkeit genießt. Dass die Forschungsstelle Merowingerzeit der Curt-Engelhorn-Stitung für die Reiss-Engelhorn Museen Mannheim nicht unerheblich am Entstehen des Bandes beteiligt war, soll die Veröfentlichung in den Mannheimer Geschichtsblättern verdeutlichen. Mögen dem Jubilar auch weiterhin viele anregende Diskussionen und fachlicher Austausch beschieden sein, möge ihn der Trossinger Leierspieler (Christina von Elm) nicht nur zum Geburtstag mit einem Ständchen erfreuen. Niklot Krohn, Freiburg X Oktober 2012 Ursula Koch, Mannheim Mechthild Schulze-Dörrlamm Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit – ein Amulettschlüssel aus Mainz und ein „Petrusschlüssel“ aus Alzey Schlagwörter: Karolingerzeit, Bronzeschlüssel, Petrusschlüssel, Reliquie, Amulett Keywords: Carolingian Age, bronze key, St. Peter’s Key, reliquary, amulet Besonders dekorative Bronzeschlüssel der Karolingerzeit stehen meistens in Verdacht, sog. „Petrusschlüssel“ zu sein1, die entweder vom Papst verschenkt oder von Pilgern in Rom als Devotionalien erworben worden waren. Die Frage nach ihrer einstigen Funktion stellt sich bei zwei Schlüsseln ungewöhnlicher Form im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz (RGZM). Der eine wurde schon vor 120 Jahren ohne Fundortangabe publiziert und dabei zu Unrecht als typischer „Petrusschlüssel“ vorgestellt. Dagegen kann der andere aufgrund von Beschafenheit und Dekor durchaus ein symbolischer „Schlüssel des hl. Apostels Petrus“ und eine Berührungsreliquie von den Gittern seines Grabes in Rom gewesen sein2. Der Amulettschlüssel aus Mainz Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich in Mainzer Privatbesitz ein besonders formschöner Drehschlüssel aus Bronzeguss, der in Mainz gefunden worden war und bis heute einzigartig geblieben ist. Dieser Schlüssel (H. 7,0 cm), von dem Ludwig Lindenschmit d. Ä. eine Kopie für das RGZM hergestellt hat3, besitzt einen Ringgrif mit freiplastischen, aber hohlen, antithetischen Tieriguren (Abb. 1). Zwei Vierfüßler (Raubtiere?) ohne Ohren, deren Köpfe in Seitenansicht wie Entenköpfe aussehen, stehen auf der Ringschiene und pressen die Lippen ihrer weit aufgerissenen Mäuler aufeinander. Ihre dünnen, herabhängenden Schwänze enden in je einem tulpenförmigen Schlangenkopf, der mit seinem aufgerissenen Maul den hohlen Schat des Schlüssels festhält. Die runden Augen der beiden Ungeheuer sowie der Schlangenköpfe an ihren Schwänzen enthielten einst kleine blaue Glaseinlagen, von denen aber nur drei erhalten sind. Der an den hohlen Schat gegossene, fünfeckige Bart ist auf einer Seite mit einem geometrischen Relief aus geraden Stegen und auf der dreieckigen Spitze seiner anderen Seite mit drei Zinken (L. 1,0 cm) versehen, die aber nicht wie üblich senkrecht stehen, sondern sich alle schräg zur Mitte hin neigen. Bald nachdem dieser Hohlschlüssel von Lindenschmit um 1865 abgeformt worden war4, wechselte er zum ersten Mal seinen Besitzer. Dabei ging die Kenntnis seines Fundorts schnell verloren. Vielleicht wurde er schon beim Verkauf an den Pariser Sammler Victor Gay nicht mehr erwähnt. Denkbar wäre allerdings, dass der Schlüssel aus Mainz von seinem Eigentümer absichtlich mit der zwar 1 Mit dieser Frage hat sich auch der Jubilar kürzlich in Zusammenhang mit zwei Bronzeschlüsseln aus Baden beschätigt: G. Fingerlin, Ein „Himmels-Schlüssel“(?) aus dem frühmittelalterlichen Riegel am Kaiserstuhl. Arch. Nachr. Baden 66, 2002, 22–24. 2 Zur Geschichte, Funktion und Gestalt der „Petrusschlüssel“ vgl. u. v. a. H. Leclercq, s. v. Clefs. Clefs de Saint Pierre. In: F. Cabrol/H. Leclercq (Hrsg.), Dictionnaire d´Archéologie chrétienne et de Liturgie 3,2 (Paris 1912) 1859–1867; R. Bäumer, s. v. Petrus 4. Gegenstände. In: Lex. für heologie u. Kirche 8 (Freiburg 1963) 342; H . Steuer, Schlüsselpaare in frühgeschichtlichen Gräbern – Zur Deutung einer Amulettbeigabe. Stud. Sachsenforsch. 3, 1982, 185–247 hier 211–215 Abb. 16–17. 3 Mainz, RGZM Kopie-Nr. 4218. 4 Die Inventarbücher des RGZM enthalten zwar keine Jahreszahlen, die über den Herstellungszeitpunkt der Kopien Aufschluss geben könnten, doch lassen sich diese Daten halbwegs erschließen. So hatte Ludwig Lindenschmit in Band I der „Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit“ aus dem Jahre 1858 seine ältesten Gipskopien bis zu den ersten 3000er Nummern erfasst: L. Lindenschmit, Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit I (Mainz 1858). Schon in Het VI des 1870 erschienenen zweiten Bandes publizierte er Kopien mit den Nummern 4219 bis 4222, die unmittelbar auf die Nummer des Bronzeschlüssels aus Mainz (4218) folgen: Ders., Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit 2 (Mainz 1870) Het 6 Taf. 5,12–15. Demnach dürte er diesen Fund gegen 1865 abgeformt haben. Mechthild Schulze-Dörrlamm 1 Mainz, bronzener Drehschlüssel mit blauen Glaseinlagen, H. 7 cm. (Zeichnung: Monika Weber, RGZM). falschen, aber preissteigernden Fundortangabe „Rom“ versehen worden war. Jedenfalls hat Gay den Schlüssel 1887 in seinem „Archäologischen Glossar des Mittelalters und der Renaissance“ abgebildet, um damit in seinem Stichwort „Schlüssel“ die mittelalterliche Vergabepraxis von Petrusschlüsseln in Rom zu illustrieren5. Rund vierzig Jahre später galt dieser Schlüssel in Deutschland als verschollen. Weder Heinrich Kohlhaussen noch Peter h. Kessler kannten damals den Verbleib dieses nun angeblich „aus Rom“ stammenden Fundstücks in der alten Privatsammlung Gay6. Deshalb dürte ihn Bertil Almgren 1955 auch nicht in sei- ner Studie über Bronzeschlüssel und Tierornamentik berücksichtigt haben7. Der Schlüssel aus Mainz war nach der Versteigerung von Gays Sammlung im Jahre 1909 zunächst in den Besitz von Henri Le Secq des Tournelles übergegangen, der seine umfangreiche Kollektion 1920 der Stadt Rouen stitete. Seither gehört er dem Musée Le Secq des Tournelles zu Rouen8. 1980 wurde er im Museumskatalog mit der vom Vorbesitzer genannten Herkuntsangabe „westliches Europa?“ veröfentlicht9, 2008 im Katalog der Speyerer Wikingerausstellung als eine typisch skandina- 5 V. Gay, Glossaire archéologique du Moyen Âge et de la Renaissance I (Paris 1887) s. v. «Clef» 393 Fig. A. 6 H. Kohlhaussen, Romanische Figurenschlüssel. Hessenkunst 21, 1927, 39–44 hier 41 Abb. 4; P. Th. Kessler, Schlüssel aus spätmerowingisch-karolingischer Zeit (2. Teil). Mainzer Zeitschr. 29, 1934, 62–65 hier 64 Taf. 147 Abb. 5,147. 7 B. Almgren, Bronsnycklar och djurornamentik vid övergången från Vendeltid till Vikingatid (Uppsala 1955). 8 Rouen, Musée le Secq des Tournelles, Inv. 1924 no. 2801; Inv. 1936 no. 447. 9 C. Vaudour, Clefs et serrures des origines au commencement de la Renaissance. Catalogue du Musée Le Secq des Tournelles II (Rouen 1980) 21 Nr. 100. 190 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit vische Arbeit vorgestellt, die aus „Nordfrankreich“ stamme10. Das Alter des Mainzer Schlüssels war bisher ebenso stark umstritten. Gay hatte ihn in seinem Glossar 1887 ohne nähere Begründung als typischen Bronzeschlüssel des 11. Jahrhunderts abgebildet11. Kohlhaussen zählte ihn noch 1927 zu den Schlüsseln der Romanik12, vermutlich im Hinblick auf eine weit entfernte Ähnlichkeit mit dem gegossenen „Schlüssel der Elisabethkirche in Marburg“ aus dem späten 12. Jahrhundert, dessen zweischaliger Ringgrif mit vollplastischen Menscheniguren belebt ist13. Aufgrund seiner Kenntnis des archäologischen Fundmaterials nahm ihn Peter h. Kessler 1934 zu Recht in seinen Katalog der Schlüssel aus spätmerowingisch-karolingischer Zeit auf14. Cathérine Vaudour reihte ihn 1980 pauschal in die Serie der frühmittelalterlichen Schlüssel des „6. bis 8. Jahrhunderts(?)“ ein15. Dagegen bezeichnete Marie Pessiot ihn vor kurzem als skandinavischen Schlüssel des 10. Jahrhunderts, ohne diese Spätdatierung und Herleitung zu begründen16. Obwohl der Hohlschlüssel aus Mainz ein Einzelstück ohne Fundzusammenhang ist, zu dem es keine einzige Parallele gibt, kann er mit Hilfe formaler Kriterien und stilistischer Vergleiche ungefähr in die Mitte des 8. bis beginnende 9. Jahrhundert datiert werden. Maßgebliche Hinweise auf sein Alter und auf seinen mutmaßlichen Herstellungsort sind die halbwegs naturalistischen, plastischen Figuren der zwei Vierfüßler sowie die runden blauen Gläser, die in den Augen aller Tiere gelegen hatten. Halbkügelchen aus blauem Glas waren typische Zierelemente von Kunstwerken sowie Schmuckstücken, die im 8. bis frühen 9. Jahrhundert in Angelsachsen wie im Karolingerreich hergestellt wurden. Mit ihnen schmückte man zahlreiche Fibeln, Riemenzungen, Sporen sowie andere Kleidungsbestandteile aus vergoldetem Bronzeguss, die überdies häuig Tierornamente im sog. „Tassilokelchstil“ aufwiesen17 und als Hinterlassenschaten des Adels damaliger Zeit zu werten sind. Sie zierten auch den namengebenden Tassilokelch, den Bayernherzog Tassilo und seine Gemahlin Liutpirc wahrscheinlich im Jahre 777 dem Kloster Kremsmünster gestitet hatten18. Eindrucksvolle Augen aus blauen Glaskügelchen inden sich sogar bei igürlichen Reliefs mancher Elfenbeinarbeiten wie auf dem durchbrochenen Elfenbeinband von Genoels-Elderen in den Musées d’Art et d’Histoire Brüssel, einem northumbrischen Kunstwerk des späten 8. Jahrhunderts, sowie auf den Elfenbeintafeln des sog. „Harrachschen Diptychons“, das als ein Werk der Hofschule Karls des Großen aus dem frühen 9. Jahrhundert gilt19. Wegen seiner zwei nach unten hängenden Schlangenköpfe, die mit ihren aufgerissenen Mäulern in den hohlen Schat beißen, ist der Mainzer Drehschlüssel eine Variante der Schlüssel mit Ringgrif aus dem 8. und 9. Jahrhundert, deren Schat ebenfalls von zwei stilisierten Tierkopfmäulern gehalten wird20 , aber meistens nicht hohl ist, sondern in einem dornartigen Stit endet. Solche Stitschlüssel mit fünfeckigem Bart und drei Zinken waren 10 M. Pessiot, Ringschlüssel mit Tiermotiv. In: A. Koch (Red.), Die Wikinger. Ausstellungskat. Hist. Mus. der Pfalz Speyer (München 2008) 249. 11 Gay 1887 (Anm. 5) 393 Fig. A. 12 Kohlhaussen 1927 (Anm. 6) 41 Abb. 4. 13 P. Bloch, Sog. Schlüssel der St.-Elisabethkirche zu Marburg. In: R. Haussherr (Hrsg.), Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Ausstellungskat. Stuttgart 1 (Stuttgart 1977) 526 Nr. 706 Abb. 504. Kessler 1934 (Anm. 6) 64 Nr. 147. Vaudour 1980 (Anm.9) 21 Nr. 100. Pessiot 2008 (Anm. 10) 249. Zur Gesamtverbreitung von Metallarbeiten mit diesem Tierstil: M. Schulze-Dörrlamm, Das karolingische Kreuz von Baume-les-Messieurs, Dép. Jura, mit Tierornamenten im frühen Tassilokelchstil. Arch. Korrbl. 28, 1998, 131–150 hier 133 Abb. 2 (Verbreitungskarte) mit Fundliste I. 18 G. Haseloff, Der Tassilokelch (München 1951) 2 mit Anm. 7 Taf. 1–2, 8 B; E. Wamers, Der Tassilokelch-Stil im Reich Karls des Großen. In: Ders., 794 – Karl der Große in Frankfurt am Mainz. Ein König bei der Arbeit. Ausstellung zum 1200-Jahre-Jubiläum der Stadt Frankfurt am Main (Sigmaringen 1994) 116–121 hier 118 f. Nr. V/2. 19 L. Webster/J. Backhouse (Hrsg.), he Making of England. Anglo-Saxon Art and Culture AD 600–900. Ausstellungskat. (London 1991) 180–183 Nr. 141; H. Fillitz, Die Elfenbeinarbeiten des Hofes Karls des Großen. In: Ch. Stiegemann/M. Wemhof (Hrsg.), 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn (Mainz 1999) 610–622 hier 616 f. Abb. 6–7. 20 Ein gut datierbarer Hohlschlüssel, dessen Ringgrif in zwei stilisierten Tierköpfen endet, gehört in Phase 5a von Flixborough, die von der Mitte bis gegen Ende des 9. Jhs. andauerte: D. H. Evans/Ch. Loveluck, Life and Economy at early Medieval Flixborough, c. AD 600–1000. he Artefact Evidence (Oxford 2009) 194 Nr. 1967–1968 Abb. 5,8. 14 15 16 17 191 Mechthild Schulze-Dörrlamm 2 Bronzeschlüssel mit Ringgriff aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts 1, Gloucester (GB), H. 7,5 cm. (Nachweis: Anm. 22); 2 Klyne Mose bei Ribe, Jütland (DK), H. 5, 6 cm. (Nachweis: Anm. 24; Foto: Nationalmuseum of Denmark). überwiegend in Dänemark verbreitet, wo sie nachweislich in der Handelsstadt Ribe (Jütland) hergestellt worden sind21. Mehrfach hat man sie auch in Schweden und Norwegen gefunden, nur vereinzelt in Friesland und auf den Britischen Inseln, wo z. B. in Gloucester ein bronzener Hohlschlüssel der zweiten Hälte des 8. Jahrhunderts zutage kam22, dessen Ringgrif in besonders schön ausgearbeiteten Tierköpfen endet (Abb. 2,1). Nur ein Stitschlüssel mit vergleichbarem Ringgrif wurde bisher bei den Ausgrabungen in Dorestad (Prov. Utrecht) entdeckt23, dem bedeutenden, karolingerzeitlichen Handelsplatz am Rhein. Der einzige Schlüssel mit Ringgrif, bei dem anstelle von Tierköpfen zwei naturalistische Vierfüßler mit ihren aufgerissenen Mäulern den Schat des Schlüssels halten, und der außerdem einen fünfeckigen Bart mit drei Zinken besitzt, stammt aus Klyne Mose, einem Moor bei Ribe in Jütland (Abb. 2,2)24. Dieser bronzene Stitschlüssel kann aufgrund seiner Verwandtschat mit einem dänischen Stitschlüssel unbekannten Fundorts, dessen Ringgrif mit vier Einzeltieren im frühen Greitierstil ausgefüllt ist25, in das ausgehende 8. Jahrhundert datiert werden. Anders als beim Hohlschlüssel aus Mainz wird sein ringförmiger Grif von den bandförmigen Leibern der zwei Tiere gebildet, die sich nicht drohend gegenüberstehen, sondern von einander abwenden. Außerdem fehlen ihnen sowohl die blauen Glaseinlagen in den Augen als auch die Schlangenköpfe an den Schwanzenden. Hochwertige Metallarbeiten mit einem Dekor aus halbwegs naturalistischen, vollplastischen Tieren, deren Augen blaue Glaseinlagen enthalten, sind während des 8. bis frühen 9. Jahrhunderts vorwiegend in Angelsachsen entstanden. Zu nennen wäre das silberne Hängebecken aus dem River Witham (Lincolnshire)26, die vergoldete Bronzenadel mit 21 In Ribe sind nachweislich Stitschlüssel mit Ringgrif, aber vereinzelt auch Hohlschlüssel mit Ringgrif produziert worden: St. Jensen, Ribe zur Wikingerzeit (Ribe 1991) 33 f. mit Abb. S. 30; C. Feveile (Hrsg.), Ribe Studier. Det ældste Ribe. Udgravninger på nordsiden af Ribe Å 1984–2000 (Ribe 2006) Taf. 54 C. 22 Webster/Backhouse 1991 (Anm. 18) 222 Nr. 176. 23 Almgren 1955 (Anm. 7) 107 Nr. H8 Taf. 12b Tab. III, C 9. 24 Almgren 1955 (Anm. 7) 111 Nr. D 17 Taf. 18c. – Nach freundlicher Auskunt von Marie horstrup Laursen vom Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen ist der Schlüssel Inv. CCLXXXIII nicht im Kliim Mose – wie bei Almgren 1955 (Anm. 7) – , sondern 1820 im Klyne Mose bei Ribe (Südjütland) gemeinsam mit zwei anderen Schlüsseln gefunden worden. 25 Almgren 1955 (Anm. 7) 112 Nr. D42 Taf. 22a; M. Helmbrecht, Der frühe nordische Greitierstil. Studien zu einer stilistischen, räumlichen und chronologischen Gliederung. Ofa 61/62, 2004/05 (2007) 239–307 Taf. 3,31. 26 Von dem verschollenen Hängebecken blieben nur Kupferstiche erhalten: T. D. Kendrick, A Late Saxon Hanging Bowl. Ant. Journal 21, 1941, 161 f. Taf. 34–35; D. M. Wilson, Anglo-Saxon Ornamental Metalwork 700–1100 (London 1964) 18 Taf. IIc. 192 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit Hundekopf aus Flixborough (South Humberside)27 und eine ähnliche Silbernadel aus Brandon (Suffolk)28. Einige dieser Arbeiten, wie z. B. die kleine vergoldete Silberkatze, die man beim See Tissø (Vestjælland) entdeckt hat29, und die mit mehreren Tieren verzierte Zierscheibe eines Hängebeckens aus der Siedlung Agerbygård bei Østerlars (Bornholm)30 waren wikingische „Importe“ aus Angelsachsen. In den Osten des Karolingerreiches sind Kunstwerke solcher Art ebenfalls gelangt. So beindet sich im Domschatz zu Fritzlar der mit zwei antithetischen Schlangenköpfen versehene, angelsächsische „Kamm des hl. Bonifatius“ aus dem 8. Jahrhundert, der als Aufsatz eines hochmittelalterlichen Altarretabels zufällig erhalten blieb31. Manche Goldschmiede des Karolingerreiches haben selbst vollplastische Tieriguren geschafen, wie z. B. die fünf Löwen aus vergoldetem Silberguss mit runden, blauen Glasaugen, die auf dem First des Engerer Bursenreliquiars aus dem späten 8. Jahrhundert kauern32. Auf den mutmaßlichen Herstellungsort des in Mainz gefundenen Hohlschlüssels weisen weitere Verzierungselemente sowie formale Details hin. So besitzt er als einziger der karolingischen Bronzeschlüssel aus dem Rheinland einen fünfeckigen Bart mit drei Zinken, der für die in Skandinavien vorherrschenden Stitschlüssel charakteristisch war33. Hohlschlüssel mit einem solchen Bart hat man jedoch bisher nur ganz vereinzelt entdeckt und zwar im schwedischen Helgö34, in Dänemark, Friesland und Angelsachsen35. Dass der Mainzer Schlüssel aber keinesfalls in Skandinavien – etwa in der Wikingerstadt Ribe (Jütland) – gegossen worden sein kann, bezeugen die bereits erwähnten blauen Glasaugen der Tierköpfe. Außerdem lassen darauf auch seine zwei merkwürdigen Raubtiere mit schlangenförmigen Schwänzen schließen, deren Vorbilder in der Apokalypse des Johannes (Apk. 9,17–19) zu inden sind. Der Evangelist hatte nach dem Posaunenstoß des sechsten Engels Panzerreiter auf Rössern mit Löwenkopf und einem Schwanz mit Schlangenkopf hervorbrechen sehen, um mit ihrem Atem aus Feuer, Rauch und Schwefel die Menschen zu vernichten. Dass dieses Schreckensszenario schon von Künstlern der Karolingerzeit dargestellt worden ist, belegen Miniaturen der Trierer Apokalypse und der Apokalypse zu Valenciennes (Abb. 3) aus dem ersten Viertel des 9. Jahrhunderts, auf denen apokalyptische Reiter auf einem Ross mit Löwenkopf und schlangenköpigem Schwanz zu sehen sind36. Ebenso wie die Maler dieser Miniaturen wird auch der Bronzegießer des Mainzer Schlüssels mit dem Inhalt des Neuen Testaments gut vertraut – also ein Christ – gewesen sein und als solcher in einem christlichen Land gearbeitet haben. Weitere Herkuntsindizien sind die tulpenförmigen Schlangenköpfe mit lang ausbiegenden Lippen an den Schwänzen der beiden Mainzer Untiere, weil sie auch bei einigen Tierornamenten im anglo-karolingischen „Tassilokelchstil“ des 8. bis frühen 9. Jahrhunderts begegnen. Man sieht sie auf dem Blechstreifen eines zerstörten Reliquiars vom 27 K. Leahy, Selected inds from a high-status site at Flixborough, South Humberside. In: Webster/Backhouse 1991 (Anm. 18) 94–101 hier 97 Nr. 69g; N. Rogers, he pins. In: Evans/Loveluck 2009 (Anm. 20) 66 Nr. 566 Abb. 1,27 Nr. 566. 28 L. Webster, Selected inds from a high-status site at Brandon, Sufolk. In: Webster/Backhouse 1991 (Anm. 18) 81–88 hier 83 Nr. 66d. 29 M. Panum Baastrup/P. Vang Petersen, Røvet gods eller gode gaver? – detektorfund fra jerne egne. Natmus. Arbejdsmark 2010, 85–99 hier 89 Abb. 7. 30 Panum Baastrup/Vang Petersen 2010 (Anm. 29) 86 Abb. 5. 31 H. Roth, Der sog. Kamm des hl. Bonifatius im Domschatz zu Fritzlar. Hess. Jahrb. Landesgesch. 31, 1981, 1–13 Taf. 1; Ders., Altarretabel. In: Ders./E. Wamers (Hrsg.), Hessen im Frühmittelalter. Archäologie und Kunst. Ausstellungskat. Frankfurt (Sigmaringen 1984) 329 f. Nr. 222 mit Abb. S. 330. 32 Kunst und Kultur im Weserraum 800–1600. Ausstellungskat. Corvey (Münster 1967) 562 f. Nr. 241 mit Abb. 204 u. Farbtaf. G; G. Haseloff, Email im frühen Mittelalter (Marburg 1990) 137 Abb. 65b; E. Wamers, Zwischen Salzburg und Oseberg. Zu Ursprung und Ikonographie des nordischen Greitierstils. In: U. von Freeden/U. Koch/A. Wieczorek (Hrsg.), Völker an Nord- und Ostsee und die Franken. Akten des 48. Sachsensymposiums in Mannheim vom 7. bis 11. September 1997. Koll. Vor-u. Frühgesch. 3 = Mannheimer Geschbl. N. F. Beih. 2 (Bonn 1999) 195–228 hier 211 f. Abb. 21. 33 H. Steuer, Verschlüsse. In: RGA2 XXXV (Berlin 2007) 406–433 hier 425. 34 W. Holmqvist, Excavations at Helgö I (Stockholm 1961) 116 Abb. 26,8. 35 Almgren 1955 (Anm. 7) Nr. D 4, D 11, D 44, H 30, E 29; Evans/Loveluck 2009 (Anm. 20) 194 Nr. 1967 Abb. 5,8. 36 J. Hubert/J. Porcher/W. F. Volbach, Die Kunst der Karolinger von Karl dem Großen bis zum Ausgang des 9. Jahrhunderts (München 1969) 353 Abb. 168; G. Schiller, Die Apokalypse des Johannes. Ikonographie der christlichen Kunst 5 (Gütersloh 1991) Bildteil 75 f. Abb. 292b–293. 193 Mechthild Schulze-Dörrlamm 3 Miniatur (Detail) einer mittelrheinischen Apokalypse des frühen 9. Jhs. Valenciennes, Bibliothèque municipale Ms. 99, fol. 19r (Nachweis: Anm. 36). Christenberg bei Marburg ebenso wie auf den Seitenblechen des hausförmigen Reliquiars im Domschatz zu Chur37. Demnach wird der Ort, an dem der Mainzer Hohlschlüssel gegossen worden ist, entweder in Angelsachsen oder in jenen nördlichen Regionen des Karolingerreiches gelegen haben, die durch die insulare Mission unter den starken kulturellen Einluss Angelsachsens geraten waren. Zu denken wäre an London oder York, aber auch an Utrecht oder Dorestad. Auf die einstige Funktion des kleinen Schlüssels und auf den Eigentümer deuten ein ungewöhnliches Detail seines Bartes sowie sein dekorativer Ringgrif hin. Die Schrägstellung seiner drei Zin- ken, durch die er sich von allen anderen Schlüsseln mit dieser fünfeckigen Bartform unterscheidet, war zum Schließen kaum geeignet. Vielmehr prädestinierte ihn sein besonders kunstvoll mit freistehenden Tierplastiken und blauen Glaseinlagen ausgestalteter Grif zum Schmuckstück einer reichen Frau. Sie dürte ihn wegen seiner Symbolik zugleich als unheilabwehrendes Amulett getragen haben. Die zwei todbringenden Ungeheuer der Apokalypse, die einander auf dem Ringgrif gegenüberstehen, bedrohen sich nämlich gegenseitig und halten sich dadurch in Schach, während die Schlangenköpfe ihrer Schwänze den Schat des Schlüssels bewachen, um Unbefugte an dessen Gebrauch zu hindern. Außerdem gehörte der Schlüsselgrif zu jenen Ringen, denen man zur Karolingerzeit wegen ihrer antithetischen Tiere oder Tierköpfe ofenbar magische Kräte zuschrieb. Indizien dafür sind die ungewöhnlichen Fundstellen einiger Exemplare. So dürte es kaum ein Zufall sein, dass der einzige Ringschlüssel mit vergleichbarem Tiermotiv im Klyne Mose bei Ribe (vgl. Abb. 2,2) versenkt, also absichtlich in einem Moor (den Göttern?) geopfert worden war38. Eine vermutlich aus Angelsachsen stammende Person von königlichem Rang hat im 9. Jahrhundert ihren auklappbaren Goldarmring mit zwei aufeinander zubeißenden Raubtierköpfen in den Reno bei Bologna geworfen39. Vielleicht hatte sie damit Buße tun oder eine glückliche Heimreise, womöglich auch ihre Wiederkehr bewirken wollen. Völlig rätselhat bleibt dagegen der Grund, warum der karolingische Goldingerring von Holzhausen bei Osnabrück, dessen zwei Raubtierköpfe ein Rundmedaillon mit nielliertem Krückenkreuz in ihren Mäulern halten, absichtlich in einem heidnischen Grabhügel aus der Römerzeit deponiert worden ist40. Zu diesen „magischen Opfergaben“ zählte der Mainzer Bronzeschlüssel aber nachweislich nicht. Aus einem Gewässer (Fluss, See oder Moor) 37 U. Roth, Zwei bemerkenswerte Funde des 8. Jahrhunderts aus Nordhessen. Fundber. Hessen 17/18, 1977/78, 315–322 Abb. 1–4; E. Wamers, Die frühmittelalterlichen Lesefunde aus der Löhrstraße (Baustelle Hilton II) in Mainz. Mainzer Arch. Schr. 1 (Mainz 1994) 31 Abb. 18,1–2. 38 In das Moor von Tebbestrup, Randersamt (DK) ist schon im 5. Jh. ein auklappbarer Goldarmring mit Scharnier und zwei antithetischen, stilisierten Löwenköpfen geworfen worden: L. Jörgensen/P. V. Petersen, Guld, Magt og Tro. Danske guldskatte fra oldtid og middelalder (Kopenhagen 1998) 188 Abb. 140. 39 M. Schulze-Dörrlamm, Zeugnisse der Selbstdarstellung von weltlichen und geistlichen Eliten der Karolingerzeit (751–911). Bewertungsgrundlagen für isolierte Sachgüter aus dem Reichsgebiet Karls des Großen. In: M. Egg/D. Quast (Hrsg.), Aufstieg und Untergang. Monogr. RGZM 82 (Mainz 2009) 171 Abb.16. 40 W. Borchers, Der bronzezeitliche Goldfund von Lorup und der frühmittelalterliche Fingerring von Holzhausen im Städtischen Museum Osnabrück. Jahrb. RGZM 13, 1966, 30–33 hier 32 f. Taf. 1,2–3. – Dass dieser Fingerring aus der Karolingerzeit stammt, ist an den spitzovalen Ohren und den mit Perldraht umrandeten Augen seiner Tierköpfe sowie an dem Krückenkreuz im Medaillon zu erkennen, das dem niellierten Krückenkreuz in der Silberplatte eines vergoldeten Bronzebeschlags aus Mainz mit Tierornamenten im Tassilokelchstil gleicht: Schulze-Dörrlamm 1998 (Anm. 17) 136 Abb. 6. 194 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit stammt er keinesfalls, weil seine tiefschwarze Färbung, die er bei der Auindung noch besessen hatte41, durch längere Lagerung an der Lut entstanden sein muss42. Da er in der Bischofsstadt Mainz während des späten 8. bis frühen 9. Jahrhunderts auch nicht mehr die Grabbeigabe einer wohlhabenden Frau gewesen sein kann, wird man ihn von einem Acker aufgelesen haben. Der Petrusschlüssel aus Alzey Ein kleiner Hohlschlüssel aus Rotguss, den das RGZM 1933 aus Alzeyer Privatbesitz erworben hat43, verblüt durch seine ungewöhnliche Form und Verzierung (Abb. 4). Auf den ersten Blick könnte man ihn wegen seines rautenförmigen Grifs und quadratischen Bartes fälschlich für einen symbolischen „Stadtschlüssel“ des Spätmittelalters halten, die jedoch immer einen langen Schat mit einem kurzen Rahmengrif ohne Tragöse besaßen. Statt dessen zeichnet er sich durch einen plattenförmigen, durchlochten Rautengrif mit dreigliedriger Tragöse, ein proiliertes Gesenk und einen axialsymmetrisch durchbrochenen, fast quadratischen, lachen Bart mit geraden Kanten aus (L. 9,5 cm). Der Dekor seines Rautengrifs besteht aus einem gleicharmigen Furchenkreuz mit vier großen, runden Löchern in den Zwickeln, die ihrerseits mit einer Furche umrandet sind. In den Zwickeln an den Enden der Kreuzarme beinden sich außerdem noch je zwei kleine Löcher. Ein gleichar- miges Kreuz in Form einer durchbrochenen Raute mit vier Eckrundeln, die von einer schwach eingravierten Raute umrahmt ist, sowie vier ovale Löcher in den äußeren Ecken zieren den annähernd quadratischen Bart des Schlüssels. Der Hohlschlüssel ist nach dem Guss nicht versäubert, also unsorgfältig gearbeitet worden und weist außerdem keine Aboder Benutzungsspuren auf44. Den Angaben im Inventarbuch zufolge kannte der in Alzey (Kr. Alzey-Worms) wohnhate, ungenannte Eigentümer den Fundort angeblich nicht, doch ist dieser mit größter Wahrscheinlichkeit im Kastell Alzey zu suchen. Den Schlüssel hat er nämlich dem RGZM mitsamt einer Sammlung von überwiegend römischen Kleinfunden „unbekannter Herkunt“ in demselben Jahr veräußert45, in dem Friedrich Behn seine mehrjährigen Ausgrabungen in der Nordostecke des Kastells Alzey (1929– 1932/33) beendete46. In den Berichten über seine vierjährige Grabung, bei der Behn auch die Fundamente der frühmittelalterlichen St. Georgskirche freigelegt hatte47, bildete er erstaunlicherweise nur Terra Sigillata-Scherben sowie Skulpturen ab, wies zwar auf vereinzelte, römische Münzen und einen Schildbuckel hin, erwähnte aber überhaupt keine anderen Eisenteile oder Kleinbronzen48. In einem Römerkastell sind aber gerade Metallfunde zu erwarten und bei den Ausgrabungen von Jürgen Oldenstein im Kastellbereich natürlich auch gefunden worden49. Ofensichtlich hatte die Grabungsleitung damals solchen Kleinfunden keine sonderli- 41 Die Gipskopie des Bronzeschlüssels wurde von Ludwig Lindenschmit d. Ä. um 1865 tiefschwarz bemalt. Vom Original hat man diese Patina aber mittlerweile entfernt: vgl. Pessiot 2008 (Anm. 10) 249. 42 Für Ihren Hinweis auf die Entstehung von schwarzer Bronzepatina danke ich der Mineralogin Frau Dr. Susanne Greif (RGZM) sehr herzlich. 43 Mainz, RGZM Inv. O. 22749. – Frau Dipl. Ing. Sonngard Hartmann (RGZM) verdanke ich die folgende chemische Analyse. Der Mittelwert von vier Materialproben, die nach Entfernung der Patina mit Mikro-Röntgenluoreszenz gemessen wurden, ergab folgende Gewichte: Fe 0.11 %, Cu 88.98 %, Zn 4.33 %; Pb 3.90 %, Ag 0.19 % und Sn 2.37 %. – Nach freundlicher Auskunt von Herrn Restaurator Stephan Patscher M. A. (RGZM) ist die hellgrüne, tiefreichende Patina des Schlüssels auf eine lange Lagerung im Erdboden zurückzuführen. 44 Darauf wies mich freundlicherweise Herr Patscher M. A. (RGZM) hin. 45 Mainz, RGZM Inv. O.22746–O.22753. Unter diesen Funden beinden sich z. B. zwei spätrömische Zwiebelkopibeln und eine bronzene Tierkopfschnalle mit Gabeldorn und hochrechteckigem Laschenbeschlag, also typische Uniformteile römischer Soldaten. 46 F. Behn, Neue Ausgrabungen in Alzey. Mainzer Zeitschr. 28, 1933, 43–59; G. Behrens/E. Sprockhoff, Jahresbericht des Röm.-Germ. Zentral-Museums zu Mainz. Mainzer Zeitschr. 28, 1933, 89–101. 47 F. Behn, Neue Ausgrabungen im Kastell Alzey. Mainzer Zeitschr. 24–25, 1929–1930, 71–99 Abb. 16; Ders., 1933 (Anm. 46); Ders., Die Georgskirche in Alzey. Dt. Kunst- u. Denkmalpl. 1934, 62–66; F. Oswald/L. Schaeffer/H. R. Sennhauser, Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Otttonen. Veröf. Zentralinst. Kunstgesch. 3 (München 1966) 23. 48 Behn 1933 (Anm. 46) 54–59. 49 J. Oldenstein, Neue Forschungen im spätrömischen Kastell Alzey. Ber. RGK 67, 1986, 289–356 hier 346 mit 350 Abb. 12–14,1. 195 Mechthild Schulze-Dörrlamm 4 Alzey, Bronzener Drehschlüssel mit Kreuzdekor, H. 9,5 cm. (Zeichnung: M. Weber, RGZM). che Beachtung geschenkt50. Deshalb nehme ich an, dass sie entweder von einem der Grabungsarbeiter aufgehoben oder von einem Alzeyer Bürger aus dem Abraum gelesen worden waren und dann dem RGZM – verständlicherweise ohne Fundortangabe und unter Wahrung der Anonymität – übereignet wurden. Da es bisher kein einziges Gegenstück zu diesem Schlüssel gibt, ist er nur anhand von Detailvergleichen seiner Form und seines Dekors zu datieren. Einerseits kann er kein Schlüssel des Hochmittel- alters sein, weil deren Rautengrife spätestens seit dem 10./11. Jahrhundert nicht mehr als Platten, sondern als schmale Rahmen gegossen und teils mit Eckfortsätzen versehen worden sind, aber weder Tragöse noch eingravierten Dekor besaßen. Als Belege dafür seien hier nur ein Schlüssel des 10./11. Jahrhunderts aus Duisburg51, der kleine Silberschlüssel des frühen 11. Jahrhunderts aus dem 1040–1050 vergrabenen Schatz von Farve (Kr. Oldenburg i. H.)52 sowie einige der Eisenschlüssel aus der gegen Ende des 11. Jahrhunderts erbauten und 50 Auch bei den großlächigen Ausgrabungen, die Friedrich Behn im Kloster Lorsch durchführte, sind außer einem Denar Karls des Großen und zwei Eisengrifeln keine Metallfunde entdeckt worden (Behn 1934a [Anm. 47] 115 Abb. 45; A. Zeeb/B. Pinsker , Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Kat. Lorsch [Petersberg 2011] 544 Abb. 1), bei den neueren Grabungen kamen diese aber sehr zahlreich zutage (Ebd. 540–542 Nr. 4–12; 546–549 Nr. 1–4 u. 6–15; 533 Nr. 1–5; 556 f. Nr. 1–8). 51 G. Krause (Hrsg.), Stadtarchäologie in Duisburg 1980–1990. Duisburger Forsch. 38 (Duisburg 1992) 41 Abb. 38 (unten re.). 52 M. Schulze-Dörrlamm, Das Reichsschwert. Ein Herrschatszeichen des Saliers Heinrich IV. und des Welfen Otto IV. Monogr. RGZM 32 (Sigmaringen 1995) 62 Abb. 29. 196 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit 5 Bronzene Mantelschließen des 9., teils frühen 10. Jhs. 1 Deventer (NL), Kreuzfibel (Nachweis: Anm. 56; Umzeichnung: M. Weber, RGZM). 2 Aus der Höhle von Sinsin (B), Kreuzscheibenfibel (nach Roes 1954 [Anm. 58]). 3 Icklingham (GB), Scheibenfibel (Nachweis: Anm. 59). M. 1 : 1. im frühen 13. Jahrhundert zerstörten Niederungsburg Dockendorf (Kr. Bitburg-Prüm) erwähnt53. Andererseits dürte der Alzeyer Schlüssel wegen der ausgewogenen Proportion von Grif und Schat etwas jünger sein als die meisten rheinischen Bronzeschlüssel der zweiten Hälte des 8. und beginnenden 9. Jahrhunderts, deren kreuzförmig durchbrochener, rahmenförmiger Tropfen- oder Ovalgrif stets deutlich länger war als der kürzere Schat54. Zudem fehlt ihm der für diese Schlüssel typische Dekor aus eingepunzten Kreisaugen55. Seinen plattenförmigen Rautengrif schmückt stattdessen ein gleicharmiges Furchenkreuz mit vier Löchern in den Zwickeln, die ebenfalls mit einer Furchenlinie umrandet sind. Diesem Ziermotiv begegnet man sowohl bei einigen gegossenen Kreuzibeln mit kreisförmig zusammenbiegenden Armen, wie dem Exemplar aus dem niederländischen Deventer (Abb. 5,1)56, als auch bei den „Kreuzscheiben- ibeln mit vier durchbrochenen Pelten“ des fortgeschrittenen 9. bis frühen 10. Jahrhunderts57, zu denen z. B. das dekorative Exemplar aus der Flussgrotte „Trou de la Leuve“ von Sinsin (Prov. Namur) gehört (Abb. 5,2)58. Zugleich indet man es bei den verwandten Scheibenibeln mit durchlochtem Peltendekor und gezähntem Rand der Variante 1 nach Hans-Jörg Frick, die – ebenso wie die Fibel aus Icklingham (Abb. 5,3)59 – in Angelsachsen hergestellt wurden und vereinzelt bis in das östliche Karolingerreich gelangt sind60. Um ein besonders wichtiges, chronologisches Indiz handelt es sich bei dem nahezu quadratischen, lachen Bart des Alzeyer Schlüssels, weil Schlüsselbärte dieser Form erst im 9. Jahrhundert aufkamen. Ältester Beleg dafür ist der prunkvolle „Schlüssel des hl. Servatius“ in der Schatzkammer von Sint Servaas zu Maastricht aus vergoldetem Silberguss61, dessen ovaler Körbchengrif aus 53 L. Clemens, Die hochmittelalterliche Niederungsburg von Dockendorf (Kr. Bitburg-Prüm). Ein Vorbericht. Funde u. Ausgr. im Bez. Trier 32, 2000, 71–94 hier 87 Abb. 23. 54 Steuer 1982 (Anm. 2) 209. – Nach Jörg Kleemann stellten Bronzeschlüssel mit tropfenförmigem Rahmengrif in den sächsischen Siedlungsgebieten typische Grabbeigaben seiner Stufe IV (760/70–800/10) dar: J. Kleemann, Sachsen und Friesen im 8. und 9. Jahrhundert (Oldenburg 2002) 100 Abb. 84 Typ 3a–b. 55 Vgl. Kessler 1934 (Anm. 6) 97 f. Abb. 2 II, 3 III; Almgren 1955 (Anm. 7) Tab. I. 56 A. D. Verlinde, Archeologische kroniek van Overijssel over 1988. ROB overdrukken 357, 1989, 164– 191 hier 178 Abb. 9. 57 S. Spiong, Fibeln und Gewandnadeln des 8. bis 12. Jahrhunderts in Zentraleuropa. Eine archäologische Betrachtung ausgewählter Kleidungsbestandteile als Indikatoren menschlicher Identität. Zeitschr. Arch. Mittelalter Beih. 12 (Bonn 2000) 60 u. 206 Taf. 5,18. 58 P. J. van der Feen/A. Roes, Les trouvailles de Dombourg (Zélande). Ber. ROB 5, 1954, 65–69 hier Taf. XVIII Abb. 11; M. Schulze-Dörrlamm, Zur Nutzung von Höhlen in der christlichen Welt des frühen Mittelalters. Jahrb. RGZM 55/2, 2008, 529–575 hier 542 Abb. 11. 59 D. A. Hinton, A catalogue of the Anglo-Saxon ornamental metalwork 700–1100 in the Department of Antiquities, Ashmolean Mus. (Oxford 1974) 21 Nr. 14. 60 H.-J. Frick, Karolingisch-ottonische Scheibenibeln des nördlichen Formenkreises. Ofa 49/50, 1992/93, 243–463 hier 274–276 mit 449 Taf. 5,11 u. 17; Taf. 6,19 sowie 376–378 (Fundliste) mit 431 Karte 5. – Vgl. auch den Neufund aus Norwich: H. Geake, Brooches. In: Ph. Emery, Norwich Greyfriars: Pre-Conquest town and Medieval friary. East Anglian Report 120 (Gressenhall 2007) 193 f. Abb. 5,84. 61 Kessler 1934 (Anm. 6) 99 Nr. 51 Abb. 4, 51; Almgren 1955 (Anm. 7) 102 Nr. R 43 Taf. 2a; Steuer 1982 (Anm. 2) 209 Abb. 15. 197 Mechthild Schulze-Dörrlamm 6 Gegossene Drehschlüssel mit langem Ovalgriff und kürzerem Schaft. 1 Reinheim-Georgenhausen, Kr. DarmstadtDieburg, H. 9 cm (Nachweis: Anm. 64; Zeichnung: M. Weber, RGZM). 2 „Servatiusschlüssel“, H. 29 cm (nach Brandt 2005 [Anm. 62]). durchbrochenem Spiralrankenwerk und dessen Bartdekor aus fünf durchbrochenen Kreuzen besteht (Abb. 6,2). Aufgrund stilistischer Vergleiche seines Rankenornaments mit denen spätkarolingischer Elfenbeinarbeiten stuten Dietrich Kötzsche und Michael Brandt den Schlüssel in das dritte Viertel des 9. Jahrhunderts ein62. Dagegen hielt Adrianus Maria Koldeweij ihn für eine Arbeit aus der königlichen Werkstatt der Bronzegitter der Aachener Pfalzkapelle und datierte ihn – ebenso wie nach ihm Marieke van Vlierden und Monika Lennartsson – schon in das frühe 9. Jahrhundert63. Auf dieses höhere Alter lassen m. E. seine „altmodi- schen“ Proportionen schließen, nämlich der lange, körbchenförmige Ovalgrif und der deutlich kürzere Schat. Darin ähnelt er z. B. dem Bronzeschlüssel des späten 8. bis frühen 9. Jahrhunderts von Reinheim-Georgenhausen64 (Abb. 6,1), der als Beispiel gezeigt wird, weil sein kreuzförmig durchbrochener Ovalgrif nicht nur den üblichen Kreisaugendekor, sondern als einziger schon zusätzlich ein gleicharmiges Furchenkreuz nach Art des Alzeyer Schlüssels trägt. Dass dieser erst im 9. Jahrhundert gegossen worden sein kann, ist außer an der Form auch am durchbrochenen Kreuzdekor seines quadratischen 62 D. Kötzsche, Der Schlüssel des heiligen Servatius. In: A. Legner (Hrsg.), Rhein und Maas, Kunst und Kultur 800– 1400. Ausstellungskat. Köln (Köln 1972) 216 Nr. F 1; M. Brandt, Geistliche Insignien. In: E. Wamers/M. Brandt (Hrsg.), Die Macht des Silbers. Karolingische Schätze im Norden, Ausstellungskat. Frankfurt u. Hildesheim (Regensburg 2005) 62–72 hier 64 f. Nr. 17. 63 A. M. Koldeweij, Der gude Sente Servas. De Servatius legende en de Servatiana. Een onderzoek naar de beeldvorming rond een heilige in de middeleeuwen. Maaslandse Monogr. Groot Format 5 (Assen, Maastricht 1985) 61–132 mit Abb. 20; Ders., Servatius-Schlüssel. In: M. Brandt/A. Eggebrecht (Hrsg.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Ausstellungskat. Hildesheim (Mainz 1993) Bd. 2, 208–210 Nr. IV–45 mit Abb. S. 209; M. Van Vlierden, Willibrord en het begin van Nederland. Catalogus tentoonstelling Museum Het Catharijneconvent (Utrecht 1995) 105–108 Nr. 96; M. Lennartsson, Karolingische Metallarbeiten mit Planzenornamentik. Ofa 54/55, 1997/98, 431–619 hier 547 Abb. 76. 64 F. Behn, Jahresber. des Röm.-Germ. Zentral-Museums in Mainz für die Zeit vom 1. April 1936 bis 31. März 1937. Mainzer Zeitschr. 32, 1937, 115 Abb. 23,3. Von diesem Bronzeschlüssel, der sich damals in Darmstädter Privatbesitz befand, besitzt das RGZM eine Kopie (Inv. 34605). 198 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit Bartes zu erkennen (vgl. Abb. 4). Das große Kreuz in der Mitte besteht aus einer Raute mit vier kleinen Eckrundeln und hat somit die typische Form rautenförmiger Kreuzibeln und Nadelköpfe dieser Zeit65. Vor allem ist das Kreuz aber wegen der Kombination mit den vier kleinen, runden Löchern in den Zwickeln nicht früher als in das beginnende 9. Jahrhundert zu datieren. Ein solches Kreuz erschien damals auf den Rückseiten von Denaren Ludwigs des Frommen mit der Umschrit XPISTIANA RELIGIO, die der Kaiser seit 814 prägen ließ66. Deshalb dürte es auf zahlreichen bronzenen Kreuzscheiben- und Kreuzemailibeln des 9. bis frühen 10. Jahrhunderts dargestellt worden sein. Als Durchbruchsornament ist es in den rechteckigen Bärten der rheinländischen Bronzeschlüssel aus der zweiten Hälte des 8. Jahrhunderts noch gar nicht nachweisbar67. Es ziert aber in etwas abgewandelter Form den quadratischen Bart des „Servatiusschlüssels“ zu Maastricht, der frühestens zu Anfang des 9. Jahrhunderts gegossen wurde (s. oben). Bei diesem gleicharmigen, von vier kleineren Kreuzen umstellten Kreuz – dem sog. „Jerusalemer Kreuz“ – handelt es sich um ein religiöses Symbol, das auf die fünf Wunden des Gekreuzigten und somit auf Christus als den Salvator Mundi verweist68. Das durchbrochene Kreuz im Bart des Alzeyer Schlüssels, das von vier kleinen Löchern umgeben ist, hatte entweder denselben Sinngehalt oder stellte zumindest ein deutliches Bekenntnis zum christlichen Glauben dar. Jedenfalls dürte es kein Zufall sein, dass derselbe Kreuzdekor bei Schlüsseln aus späterer Zeit nur ausnahmsweise, nämlich bei Bronzeschlüsseln mit quadratischem Bart und rautenförmigem Rahmengrif, vorkommt. Zu nennen wäre etwa ein Schlüssel des 10./11. Jahrhunderts von Ramygala in Litauen (Abb. 7,1)69 und die angeblich aus dem 13. bis 14. Jahrhundert stammenden Schlüssel von der Lauenburg (Kr. Quedlinburg)und aus Kernavé in Litauen (Abb. 7,2–3)70. Sie unterscheiden sich darin sehr deutlich von den spätmittelalterlichen Eisenschlüsseln mit rautenförmigem Rahmengrif, deren lache Bärte stets asymmetrisch gezackt sind71. Wegen ihres Bartes mit aufallendem Kreuzsymbol dürten diese Bronzeschlüssel des hohen bis späten Mittelalters also keine profanen Alltagsgeräte gewesen sein, sondern eine besondere religiöse Funktion besessen haben. Dass sie wahrscheinlich sog. „Petrusschlüssel“ waren, zeigt ein Blick auf die Entwicklung mittelalterlicher Darstellungen des hl. Petrus mit einem Schlüssel oder Schlüsselpaar in Händen, dem Symbol seiner – von Christus verliehenen – Schlüsselgewalt (Mt 16,19)72. Bis zum 11. Jahrhundert war die Gestalt dieser Schlüssel noch nicht festgelegt, die von den Künstlern manchmal mit Bärten in Form von Buchstaben und ot mit Ringgrifen versehen wurden, wie z. B. auf dem Behälter für das von Papst Paschalis I. (817–824) gestitete Emailkreuz73. Seit der Karolingerzeit scheint der Apos- 65 Vgl. u. a. die rautenförmige Kreuzibel aus Frauengrab 37 von Wünnenberg-Fürstenberg und den rautenförmigen Nadelkopf aus Dorestad: W. Melzer, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Wünnenberg-Fürstenberg, Kreis Paderborn (Münster 1991) 69 Abb. 37,1; A. Willemsen, Dorestad een wereldstad in de middeleeuwen (Zutphen 2009) 167 Abb. 195. 66 S. Coupland, Money and Coinage under Louis the Pious. Francia 17/1, 1990, 23–54. 67 P. T. Kessler, Schlüssel aus spätmerowingisch-karolingischer Zeit. Mainzer Zeitschr. 27, 1932, 96–101 Abb. 2–4; Kessler 1934 (Anm. 6) 63 Abb. 1–8; Almgren 1955 (Anm. 7) Tab. I; Vaudour 1980 (Anm. 9) 20 f. Nr. 86–103. 68 Koldeweij 1985 (Anm. 63) 209; E. Dinkler †/E. Dinkler-von Schubert, Kreuz I. In: Reallex. zur Byzantinischen Kunst V (Stuttgart 1995) 29 Abb. 3,17. 69 G. Biegel (Hrsg.), Die Balten, die nördlichen Nachbarn der Slawen. Ausstellungskat. Braunschweig (Freiburg 1987) 195 Nr. 947. 70 L. Weschke, Vier Schlüssel. In: M. Fansa (Hrsg.), Der Sassen Speyghel. Sachsenspiegel – Recht – Alltag Bd. 2. Beiträge und Katalog zur Ausstellung „Aus dem Leben gegrifen – Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit“. Arch. Mitt. Nordwestdeutschland Beih. 10 (Oldenburg 1995) 521 Nr. 179; Kernavé-Litewska Troja. Kat. Wystawy Ze Zbiorow Panstwowego Muz.-Rezerwatu Arch. i Hist. Kernave, Litwa (Warschau 2002) 171 Nr. 406. 71 Vgl. unter vielen anderen die Eisenschlüssel des frühen 13. Jhs. mit rautenförmigem Rahmengrif aus der Isenburg in Hattingen und aus der 1292 zerstörten Burg Altencelle: H. D. Radke, Leben auf der Burg. In: F. Seibt u. a. (Hrsg.), Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet, Ausstellungskat. Essen (Essen 1990) Bd. 1, 150–169 hier 152 Nr. 178 mit Abb. S. 151; R. Busch, Die Burg in Altencelle. Ernst Sprockhofs Ausgrabungen 1938 und 1939. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 61, 1992, 95–134 hier 118 mit 120 Abb. 27,2. 72 L. Hödl, Schlüsselgewalt. In: LexMA 7 (München 1995) Sp. 1494–1496 hier Sp. 1494; Steuer 2007 (Anm. 33) 431. 73 E. Thunø, Image and Relic. Mediating the Sacred in Early Medieval Rome. Analecta Romana Inst. Danici Suppl. 32 (Rom 2002) Abb. 35. – Die Ringgrife dieser Schlüssel dürten auf das Vorbild des Schlüssels einer verlorenen Petrusstatue aus dem 5. Jh. in Rom zurückgehen, nach der wahrscheinlich die zwischen 1265 und 1379 gegossene Bronzestatue des thronenden Petrus im Petersdom gestaltet worden ist: B. Fourlas, Die Statuette des Petrus im Archäologischen Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ihre Beziehung zur Bronzestatue Petri im Petersdom in Rom. Boreas 28/29, 2005/2006 (2008) 141–168 bes. 152 Taf. 43,1, 4. 199 Mechthild Schulze-Dörrlamm 7 Bronzeschlüssel mit kurzem, rautenförmigem Rahmengriff und quadratischem, flachem Bart mit durchbrochenem Kreuzsymbol. 1 Ramygala (Litauen) L. 10,5 cm (Nachweis: Anm. 29). 2 Lauenburg (Kr. Quedlinburg), L. 7,1 cm (Nachweis: Anm. 70). 3 Kernavé (Litauen), L. 8,85 cm (Nachweis: Anm. 70). tel immer öter mit Schlüsseln abgebildet worden zu sein, deren Bärte – ebenso wie beim „Servatiusschlüssel“ zu Maastricht – quadratisch geformt und außerdem kreuzförmig durchbrochen waren74. Erst im Laufe des 12. Jahrhunderts bildete sich der Standarttyp mit rautenförmigem Rahmengrif und quadratischem Bart mit Kreuzdekor heraus. Mit solchen Schlüsseln ist Petrus auf zahlreichen Miniaturen damaliger Zeit (Abb. 8)75 sowie auf Skulpturen dargestellt worden76. Zwei gekreuzte Petrus- 74 Die ältesten Darstellungen von Schlüsseln mit kreuzförmig durchbrochenem Bart scheinen in Rom zur Zeit Karls des Großen entstanden zu sein. Eindeutige Beweise dafür fehlen jedoch, weil vom Tricliniumsmosaik des hl. Petrus im Lateran nur eine Kopie erhalten blieb (M. Luchterhand, Famulus Petri. In: Stiegemann/Wemhoff 1999 [Anm. 19] 58– 60) und die zerstörten Wandgemälde im Mittelschif von Alt-Sankt Peter lediglich durch eine Skizze G. Grimaldis aus dem späten 16. Jh. (W. Tronzo, Setting and structure of two Roman wall decorations of the Early Middle Ages. Dumbarton Oaks Papers 41, 1987, 477–492 hier 490 Abb. 7) überliefert sind. 75 E. Klemm, Die romanischen Handschriten der Bayerischen Staatsbibliothek Teil 1. Die Bistümer Regensburg, Passau und Salzburg (Wiesbaden 1980) 88 Nr. 128 Abb. 282; Dies., Die romanischen Handschriten der Bayerischen Staatsbibliothek Teil 2. Die Bistümer Freising und Augsburg, verschiedene Provenienzen (Wiesbaden 1988) 108 Nr. 144 Abb. 325; H. Fillitz (Hrsg.), Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich. Früh- und Hochmittelalter (München 1998) 156. 76 Vgl. u. a. Christi Schlüsselübergabe an Petrus auf einem Kapitell in der Kirche von Lascaux (Dép. Corrèze) aus dem zweiten Viertel des 12. Jhs. oder die Figur des thronenden Petrus aus der Zeit um 1200 in St. Peter zu Fritzlar: E. Proust, La sculpture romane en Bas-Limousin (Paris 2004) 277 f. Abb. 167; R. Budde, Deutsche romanische Skulptur 1050–1250 (München 1969) 129. 200 Zwei ungewöhnliche Bronzeschlüssel der Karolingerzeit schlüssel dieses Typs führten dann die Päpste als Amtsnachfolger des Apostels seit dem 13. Jahrhundert in ihren Wappen77. Da die Bronzeschlüssel aus Ramygala und Kernavé in Litauen sowie aus der Lauenburg (vgl. Abb. 7,1–3) diesem Schlüsseltyp ziemlich ähnlich sehen, könnte es sich bei ihnen durchaus um Berührungsreliquien vom Grab des Apostels Petrus, also um Andenken von Rompilgern gehandelt haben78. Eine solche Devotionalie war ofensichtlich der Alzeyer Bronzeschlüssel aus dem 9. bis frühen 10. Jahrhundert. Wie eingangs erwähnt, ist er unsorgfältig gegossen worden und zeigt keine Gebrauchsspuren. Da man ihn also nie benutzt hat, kann er nur eine ideelle, bzw. religiöse Bedeutung gehabt haben, auf die der kreuzförmig durchbrochene Rautengrif und vor allem das durchbrochene Christussymbol in seinem Bart hinweisen. Im Unterschied zu den meisten anderen Bronzeschlüsseln der Karolingerzeit, die gern vorschnell als Pilgerandenken aus Rom gedeutet werden79, dürte er also ein echter „Petrusschlüssel“ gewesen und als Reliquie wahrscheinlich in der Kastellkirche St. Georg80 aubewahrt worden sein. 8 Der hl. Apostel Petrus mit zwei langen Schlüsseln, die einen kurzen, rautenförmigen Rahmengriff und einen kreuzförmig durchbrochenen, quadratischen Bart besitzen. Detail einer Miniatur in den Vitae apostolorum aus Prüll, Bistum Regensburg, Mitte bis Ende des 12. Jahrhunderts (München, Bayer. Staatsbibliothek Nr. Clm 96564, fol. 129r; nach KLEMM 1980 [Anm. 75]). Zusammenfassung Auf dem Ringgrif eines Schlüssels aus Mainz stehen sich zwei Raubtiere mit schlangenförmigem Schwanz gegenüber, die todbringenden Ungeheuern der Apokalypse gleichen. Die Schlangenmäuler halten den Schat mit fünfeckigem Bart und drei schräg stehenden, wohl funktionslosen Zinken. An den vollplastischen Tieriguren mit blauen Glasaugen ist zu erkennen, dass der Schlüssel im späten 8. bis frühen 9 Jahrhundert unter dem Einluss der angelsächsischen Kunst entstanden ist. Er war kein Gebrauchsgegenstand, sondern das schmückende Amulett einer reichen Frau. Ein Schlüssel mit rautenförmigem Grif, der wegen seines quadratischen Bartes und seines Dekors in das 9. bis frühe 10. Jahrhundert datierbar ist, stammt sehr wahrscheinlich aus dem Römerkastell Alzey. Seinen Grif und Bart schmückt je ein gleicharmiges Kreuz mit vier Löchern in den Zwickeln, das Symbol für Christus, den Salvator Mundi. Da der Schlüssel außerdem unsorgfältig gegossen und nie benutzt worden ist, dürte er ein echter „Petrusschlüssel“ sein, also eine Berührungsreliquie von den Gittern des Apostelgrabes in Rom. 77 J.-J. Brunner, Der Schlüssel im Wandel der Zeit (Bern, Stuttgart 1988) 152. 78 Diesen Schlüsseln, die zum Aufschließen der Gitter am Grab Petri in Rom verwendet worden sein sollen (vgl. Steuer 1982 [Anm. 2] 214 f.), schrieb der Volksglaube eine besondere Heilkrat zu: P. Sartori, Petrus Martyr. In: H. BächtholdStäubli (Hrsg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 6 (Berlin 1987) Sp. 1540. 79 Vgl. u. a. E. Heinsius, Neue Schlüsselfunde aus Haithabu. Berliner Bl. Vor- u. Frühgesch. 12, 1967/72, 129–143 hier 132; Steuer 1982 (Anm. 2) 209; P. Schmid, Friesischer Grabbrauch in Karolingischer Zeit. In: M. Fansa (Hrsg.), Über allen Fronten. Nordwestdeutschland zwischen Augustus und Karl dem Großen. Arch. Mitt. Nordwestdeutschland Beih. 26 (Oldenburg 1999) 213–229 hier 223 Abb. 16–17. 80 Zur Lage der frühmittelalterlichen St. Georgskirche im Kastell Alzey: K. Böhner, Vom Römerkastell zu Hof, Burg und Stadt. In: F. K. Becker (Hrsg.), 1750 Jahre Alzey. Alzeyer Geschbl. Sonderh. 6 (Alzey 1973) 61–79 Abb. 1. – Böhners Deutung des ältesten Rechteckbaus als spätrömische Kirche wird von Sebastian Ristow abgelehnt: S. Ristow, Frühes Christentum im Rheinland (Münster 2007) 250– 252 Abb. 85. 201 Mechthild Schulze-Dörrlamm Summary Two unusual bronze keys of the Carolingian Age – an amulet key from Mainz and a ‘St. Peter’s Key’ from Alzey On the ring-handle of a key from Mainz two wild animals with snake-like tails stand facing one another and resemble the the deathly monsters of the Apocalypse. he snakes’ mouths hold the shat with pentangular bit and three slanting teeth apparently without function. One can recognise on the round sculptured animal igures with blue glass eyes that the key originated in the late 8th to early 9th century under the inluence of Anglo-Saxon art. It was not an item of use, but the decorative amulet of a rich woman. A key with a rhombic handle, which owing to its square bit and decoration is datable to the 9th or early 10th century, very probably comes from the Roman fort of Alzey. Its handle and bit are each adorned with an equilateral cross with four holes at the angles, the symbol of Christ, the Saviour of the World. Moreover, since the key was cast carelessly and was never used, it should be a proper ‘St. Peter’s Key’, i.e. a reliquary from the trellis of the apostle’s grave in Rome. Dr. Mechthild Schulze-Dörrlamm Römisch-Germanisches Zentralmuseum Ernst-Ludwig-Pl. 2 D-55116 Mainz schulzedoerrlamm@rgzm.de 202